Fragen zur Umsatssteuer
Worauf muss ein deutsches Unternehmen achten, wenn es Leistungen aus Europäischen Ausland (u.a. aus Estland) bezieht?
Nach der Grundregel unterliegen grenzüberschreitende Dienstleistungen, die ein Unternehmer an einen anderen (im Ausland ansässigen) Unternehmer für dessen Unternehmen erbringt, grundsätzlich der Umsatzbesteuerung des Landes, von dem aus der Leistungsempfänger sein Unternehmen betreibt, sog. Empfängerortsprinzip. Wenn ein deutsches Unternehmen Leistungen aus Europäischen Ausland (u.a.) aus Estland bezieht, trifft die Steuerpflicht das deutsche Unternehmen als Leistungsempfänger. Es findet eine so genannte Umkehr der Steuerschuld (Reverse Charge) statt. Zudem ist das deutsche Unternehmen als Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt. Somit ist die Folge der Umkehr der Steuerschuld für das deutsche Unternehmen, dass Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzugsrecht in der Person des Leistungsempfängers zusammenfallen. Das Reverse-Charge-Verfahren funktioniert, indem der Empfänger (deutsches Unternehmen) dem Leistenden (estnisches Unternehmen) keine Mehrwertsteuer zahlt, sondern die Steuer für die getätigten Umsätze entrichtet, die er (deutsches Unternehmen) dann aber grundsätzlich als Vorsteuer abziehen kann, so dass er (deutsches Unternehmen) dem Staat keinen Betrag schuldet. Dieser Grundsatz geht von der EU Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (Art 196) hervor und wurde von § 13b Abs. 1 i.V.m Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1UstG in das deutsche Recht umgesetzt.
Ein solcher Übergang der Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge) auf den Leistungsempfänger ist zwingend; die Parteien haben kein Wahlrecht. Sinn und Zweck der Reverse Charge-Regelungen ist es, die Besteuerung sicherzustellen. Neben der Durchsetzung der deutschen Besteuerungshoheit für solche Umsätze soll durch die Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger der Aufwand für den ausländischen Leistungserbringer und die deutsche Finanzverwaltung möglichst geringgehalten werden. Die Regelung verhindert die Registrierungspflicht des Leistenden im Staat des umsatzsteuerlichen Leistungsortes.
Die durch die estnische OÜ in Deutschland zu erbringende Leistung ist im deutschen Inland steuerbar und steuerpflichtig (§ 3a Abs. 3 Nr. 1 UStG). Steuerschuldner ist gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 1 UStG der deutsche Leistungsempfänger, da der Leistungserbringer im Ausland, hier in Estland ansässig ist. Die Steuerschuldnerschaft des deutschen Leistungsempfängers erstreckt sich nach Abschnitt 13b.1 Abs. 1 Satz 4 UStAE sowohl auf die Umsätze für den unternehmerischen Bereich, als auch auf die Umsätze für den nichtunternehmerischen Bereich des Leistungsempfängers. Zuständig für die Besteuerung dieser Umsätze ist das Finanzamt, in dem deutsche Leistungsempfänger als Unternehmen umsatzsteuerlich erfasst ist (Abschnitt 13b.1 Abs. 1 Satz 5 UStAE). Der Empfänger einer Leistung, der nach § 13 Abs. 5 UStG die USt schuldet, ist unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr 4 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt. Liegen diese Voraussetzungen vor, tritt eine Belastung des Leistungsempfängers mit Umsatzsteuer damit nicht ein. Die Voraussetzungen in den Reverse Charge-Fällen gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 Nr 4 UStG weichen von den Voraussetzungen für den Grundtatbestand des Vorsteuerabzuges (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr 1 UStG) ab. Insbesondere muss für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr 4 UStG (Reverse Charge Fälle) der Leistungsempfänger nicht im Besitz einer Rechnung sein, um die Vorsteuer abzuziehen.
Beispiel über die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld (Reverse Charge)
Die in Paris ansässige Architektin Frau Menzo plant für die in Hamburg ansässige Unternehmerin Frau Boss ein Geschäftsgebäude, das in Hamburg errichtet werden soll.
Lösung: Frau Menzo erbringt eine sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG). Ort dieser sonstigen Leistung ist nach § 3a Abs. 3 Nr 1 UStG Hamburg. Die Vorschrift verdrängt die B2B Auffangregelung in § 3a Abs. 2 (s. den Einleitungssatz von § 3a Abs. 3 UStG). Damit kommt § 13 Abs. 1 UStG, der voraussetzt, dass sich der Ort der Leistung nach § 3a Abs. 2 UStG regelt, von vornherein nicht zur Anwendung. Die Umkehr der Steuerschuldnerschaft ergibt sich aber aus § 13b Abs. 2 Nr 1 UstG. Es liegt eine sonstige Leistung im Ausland (Paris) ansässigen Unternehmerin vor. Zudem bezieht Boss die Leistung für ihr Unternehmen (§13b Abs. 5 S. 1 Hs. 1 UStG). Frau Menzo wird Frau Boss daher eine Nettorechnung ausstellen. Frau Boss schuldet die Ust nach § 13b Abs. 2 Nr 1 UStG i.V.m. § 13b Abs. 5 S. 1 Hs. 1 UStG. Zugleich ist sie nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt, da ein Leistungsbezug für das Unternehmen vorliegt.
Rechnungsausstellung
Für die Rechnungsausstellung gelten die Vorschriften des Mitgliedsstaates, in dem der Leistungserbringer ansässig ist, mithin die Vorschriften Estlands (§ 14 Abs. 7 UStG). Die Vorschriften Estlands entsprechenden Artikel 226 MwStSystRL. Die Rechnung muss gemäß Artikel 226 MwStSystRL insbesondere folgende Angaben enthalten:
1. Name und Anschrift des leistenden Unternehmens und des Leistungsempfängers
2. USt.-ID-Nummer des Leistungserbringers
3. USt.-ID-Nummer des Leistungsempfängers
4. fortlaufende Rechnungsnummer
5. Rechnungsdatum
6. Zeitpunkt der Leistungserbringung oder Zeitpunkt des vereinnahmten Entgelts für noch nicht ausgeführte Leistungen
7. Art und Menge der in Anspruch genommenen sonstigen Leistung
8. Entgelt
9. Hinweis auf den Übergang der Steuerschuld explizit unter Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“
Der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers ist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. UStG unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG auch ohne Eingangsrechnung möglich, sofern die Leistung für sein Unternehmen ausgeführt worden ist. Eine Prüfung der Rechnungsangaben zum Zwecke des Vorsteuerabzugs ist daher nicht erforderlich.
Die Aufbewahrungsfrist der Rechnung für den deutschen Unternehmer beträgt 10 Jahre